Ich pflege zu sagen, dass die Erwähnung meiner Dohlen bei mir Schleusen der Beredsamkeit öffnet. Diese Tiere haben uns immerhin zwanzig Jahre unseres Lebens begleitet, mit all den schönen Erlebnissen und Misslichkeiten, die Tierhaltung mit sich bringt.


Es war ein Schulfreund aus der „Graphischen“ der mich, in meiner Einsamkeit, am Morgen aus dem Büro anrufend, zu wecken pflegte und feststellte, ich sollte mir ein Tier halten, am besten eine Dohle.

Damals las alle Welt „Er redete mit den Fischen und den Vögeln“ von Konrad Lorenz, der das soziale Verhalten dieser Vögel beschreibt. Meine Neugier war geweckt. In der berühmten Tierhandlung Findeis

in der Wollzeile gab es so einen zahmen Vogel, der mich mit seinen blauen Augen und mit gesträubten Kopffedern anschaute.

Er war aber nicht verkäuflich.

Ich sekkierte sämtliche Tierhandlungen Wiens um so einen Vogel, wurde aber abgewiesen; ich möge mich um einen Papagei umschauen.

Meine erste Dohle kam ins Haus, weil sie der Schriftstellerin Judith Zenkl, mit der ich gerade arbeitete, nach einem Gewitter in deren Wohnung am Modena Park geflogen war.

Der „Bumsti“ wohnte hauptsächlich auf meiner Schulter und schlief auf einem umgekehrt aufgehängten Besen.

Natürlich sah es bei mir gar nicht sauber aus und mein Schwager Alfred, Schwester Traudes Mann, wandte sich angeekelt ab.

Freunde bauten mir einen Dohlenkäfig. Das arme Tier, das gewohnt war, mir überall hin nach zu fliegen und eben auch gegen zugehende Türen „bumste“, musste hinein und wenn er länger allein war, fand ich ihn sehnsuchtsvoll ans Gitter geklammert.

Und als ich nach Brüssel fuhr, ich hatte ihn erst ein paar Monate, musste er ins Tierheim.

Diese Geschichte erzählte ich das Jahr darauf meinen Schulkolleginnen aus der Rahlgasse, die sich bei mir versammelt hatten, es war der zehnte Jahrestag unserer Matura. Am nächsten Tag brachte mir eine Kollegin eine kleine Dohle, mit noch weißem Schnabel, die im Prater vom Baum gefallen war.

Bumsti verpasste der armen „Zwetschke“, wie ich sie nannte, sofort einen Hieb auf ihren noch weißen Schnabel, der sich durch diese Verletzung zu einem Kreuzschnabel auswuchs und immer zu recht gefeilt werden musste.

Dann wurde Bumsti krank. Bei einem Vogel merkt man sofort, wenn es ihm nicht gut geht, - er musste zum Tierarzt :Tuberkulose; man schnipselte an seiner Zunge herum und gab Medikamente.

Aber eines morgens lag er tot am Boden. Freund Hartwig kam mit einer Schuhschachtel und begrub ihn in seinem Garten.

Zwetschke war allein und ich musste für sie einen Gefährten finden. Mein Tierhändler  in der Märzstrasse, der mich mit Mehlwürmern und nach Fisch stinkendem Futter für Insektenfresser versorgte, verschaffte mir zwei prächtige Dohlen von der Tierstation Küniglberg.

Professor König hatte nämlich Schulden bei ihm, was er aber abstritt--

Die Dohlen und die Schulden, als ich einmal bei Jugend und Volk mit ihm bekannt gemacht  wurde.

Ich nannte sie Willy und Mutz. Es waren prächtige Tiere und wurden auch gegen Zwetschke nicht sehr aggressiv. Rangkämpfe gab es natürlich immer. Jeden Vormittag wurde der Sand auf dem Boden des Käfigs gewechselt und vorher durfte die ganze Bande in warmem Wasser baden. Das war eine Zeit raubende Zeremonie, denn zuerst spazierte man auf dem Rand des Lavoirs  herum, um dann, mit ausgebreiteten Flügeln das Wasser in einem weiten Umkreis zu verspritzen. Die Spatzen machen das in denn Regenpfützen genau so, nur sind Dohlen wesentlich größer. Zwei Mal in der Woche half mir unsere tschechische Hausmeisterin bei der Bewältigung der Sauerei. Den Rest musste ich allein bewältigen.





Als Françoise auf die Welt kam, fragte ich unseren Kinderarzt,

ob ich die Tiere behalten sollte.

Er hatte nichts dagegen und der  Kinderwagen wurde zum Käfig gestellt.

Das Erste, was Françoise stundenlang beobachtete, war das hin und her Gehüpfe dieser grauschwarzen, eleganten Tiere.


Irgendwann bat dann ein altes Ehepaar um Asyl für eine zahme Dohle, die durch einen Garten Verkauf heimatlos geworden war.

Ihren Namen hab ich vergessen, wie auch den Namen der fünften Dohle, die eines Sonntags abends auf dem Käfig saß, als wir nach Hause kamen. Frau Reiff, die Hausmeisterin, hatte sie von Verwandten, die Quartier für das Tier suchten, übernommen.

Die ganze Bande machte manchmal einen entsetzlichen Lärm, viel Arbeit und viel Freude.

Wir hatten für sie die eigenartigsten Babysitter, Freund Hartwig, Nicki, der Mediziner und einen Mexikaner, der einen Sommer Klavier übend bei uns verbrachte, weil sein Pianisten Stipendium zu Ende war und er kein geeignetes Quartier  mehr hatte.

Die Dohle Mutz, die weiße Federn bekommen hatte, wie ihre Namensgeberin, eine Freundin und Zwetschke, die Älteste, starben in meiner Hand.

Der toten Mutz wollte ich eine weiße Feder ausreißen, zur Erinnerung,

brachte es aber nicht fertig. Die tote Zwetschke zeichnete ich.

(Nie wieder dieses Sterben erleben, sagte ich mir auch bei unseren Katzen, dennoch kann man kaum widerstehen, wieder ein Fell streicheln zu können und diese wundervollen Tiere zu beobachten!

Die letzte Dohle starb 1980. Ich war, Gott Lob, nicht in Wien und bat meinen Mann sofort den Käfig und alles, was  mit den Tieren zusammenhing, zu entfernen.

Wenn wir irgendwo unterwegs sind und Dohlen sehen oder hören, bekommen wir noch immer Herzklopfen. Das Schönste an unserer Beziehung mit diesen Vögeln war die Nähe:  ich konnte sie, auf meiner Hand sitzend, festhalten, sie säuberten mir Augenränder, Nase und Ohren und holten sich vorgekaute Nahrung aus meinem Mund,

ohne mir je weh zu tun.


Aber, sie konnten auch weh tun. Die Schnabelhiebe, wenn sie nicht festgehalten werden wollten, waren beachtlich.

Das Schönste war aber, wenn eine von ihnen auf meiner Schulter Sonnen baden wollte: ich setzte mich vor das geschlossene Fenster im Sonnen beschienen Erker, die Dohle auf meiner Schulter breitete, mit weit geöffnetem Schnabel ihre Flügel aus und legte sie mir um den Hals. Ich war bis über  die Ohren eingehüllt in Vogelschwingen. Für diese Momente nahmen wir die ganze Plackerei in Kauf.

Außerdem konnte ich die Tiere, die Voliere von immerhin 2m Höhe

Und 90 × 120 cm Längenmaß stand in  meinem Atelier, während meiner Arbeit beobachten. Zu meiner Schande gestehe ich, sie viel zu wenig gezeichnet zu haben.

In meinen Märchenbüchern, allerdings, kommen viele Raben vor.

Da sind wohl viele Beobachtungen eingeflossen.







Da die Katze Muschi zu uns kam, als wir schon Dohlen hatten, ergaben sich die köstlichsten Situationen. Ich  gestehe, dass ich die Katze einmal in den Käfig setzte, um zu sehen, was  passieren würde. Eine Dohle flog auf ihren Kopf und zerzauste ihr die  Ohren so jämmerlich, dass sie zwar lebenslänglich eine gewisse Sehnsucht bewahrte, die Krallen zu zücken, gleichzeitig aber einen Riesen Respekt vor ihnen hatte.

Manchmal saß Muschi vor dem geschlossenen Käfig, als würde sie fernsehen.

Von mir über die Unschicklichkeit dieses Verhaltens aufmerksam gemacht, schüttelte sie angeekelt eine Pfote und schlich davon.

Wenn ich die Dohlen frei herumspazieren ließ, war ihr erster Weg zum Katzenschüsserl,  wo sich immer leckere Sternchen, ein beliebtes Trockenfutter, befanden. Sie schlurften zu Fuß dorthin, als hätten sie alte Lederpatschen an.

Aber auch vom Vorzimmer aus konnte man in die Küche, wo das Schüsserl stand. Da  kam nun Muschi heran gestrolcht und besah sich mit Kulleraugen den Diebstahl.

Sie hatte aber ein gutes Gedächtnis und schlich wieder fort

Noch eine Dohlengeschichte, um den Wortwitz meiner französischen Schwiegermutter zu ehren:

Jeder weiß, dass  Jeans Bücher seine Heiligtümer sind. Wir saßen bei Tisch, Zwetschke hüpfte darauf herum, beschäftigte sich dann, wie gewohnt, mit einer Zündholzschachtel, indem sie, den Schnabel in den Schlitz steckend und aufsperrend, die Schachteln öffnete

und Zündholz für Zündholz heraus holte.

Als das langweilig wurde, hüpfte sie auf ein herum liegendes Buch und schwatzte einen großen Patzen darauf.

„Oh, c’est une cacastrophe!“ sagte die Baronne, wie wir meine Schwiegermutter nannten, spitz. Sie hatte viel Erfolg.


Eine allerletzte Geschichte: Jean pflegte sich sonntags vor einem Spiegel zu rasieren, der neben der Eingangstür im Vorzimmer hängt. In der Zeit waren die Dohlen immer frei. Willi flog Jean auf die Schulter und balzte ihn an. Als A – Tiere der Dohlen Kolonie waren wir natürlich sehr begehrt. Bei der Balz vibrieren die Vögel mit den Flügeln und dem Schwanz. Das Idyll dauerte nicht lange, denn die Dohle Mutz kam von hinten angeflogen und riss Willi unsanft zu Boden.

Das ganze war von einem  lauten Gezeter begleitet.

Eifersucht spielte bei diesen geselligen Tieren eine große Rolle.


Auch gegenseitige Annäherungsversuche endeten oft in Aggression.

Es wurden auch Eier gelegt (wir hatten kleine Häuschen im Käfig montiert), aber nie befruchtet oder ausgebrütet.

Diese Tiere waren äußerst sauber, sie putzten sich den ganzen Tag, fetteten und glätteten ihre Federn und badeten, so oft man sie ließ.

Ihre ausgefallenen Federn hob ich noch jahrelang, nach dem die letzte Dohle gestorben war, in einer Blechschachtel auf. Sie rochen immer gleich gut nach den Tieren. Eines Tages waren doch Würmer hineingekommen und ich musste auch diese Erinnerung wegtun. Insgesamt beherbergten wir Dohlen zwanzig Jahre lang.


wer noch Dohlenzeichnungen sehen will...